2020: Neuerungen im Baurecht und Auswirkungen auf den Immobilienkauf in Italien
Das italienische öffentliche Baurecht ist komplex und wirkt sich unmittelbar auf die Verkehrsfähigkeit von Immobilien aus. Oftmals scheitern Veräußerungen von Wohnhäusern an kleineren Unregelmäßigkeiten, etwa am ausgebauten Keller oder Dachstuhl, die in der Vergangenheit nicht genehmigt wurden. Was in Deutschland gemeinhin nicht vertieft wird, ist in der italienischen Notarpraxis die Regel: Die baugenehmigungsrechtliche Prüfung der Immobilie bei dem Verkauf.
Das italienische öffentliche Baurecht ist streng: Verfehlungen führen grundsätzlich zur Blockade oder sogar zur Unwirksamkeit des Kaufvertrages. Zwar ist die Prüfungspflicht des Notars eingeschränkt, dennoch besteht ein nachträgliches Entdeckungsrisiko, sollten Verfehlungen nicht offenkundig gewesen sein. In Zeiten, in denen in Italien Bausubventionen locken, etwa bei Modernisierung und Energieeffizienz, werden die Gebäude regelmäßig einer technischen Prüfung unterzogen. Oftmals kommen dann diese verdeckten Unregelmäßigkeiten zu Tage.
Das strenge italienische Baurecht wird nun an einigen Stellen gelockert, um in derartigen Fällen mehr Flexibilität einzuräumen.
Ausdrücklicher Gesetzeszweck des Artikel 10 des Gesetzesdekrets 16/07/2020 Nr. 76 (das sogenannte "Vereinfachungsdekret“ ist die Vereinfachung und Beschleunigung von Bauverfahren sowie die Wiederherstellung und Qualifizierung des vorhandenen baulichen Zustandes sowie Sicherstellung Stadterneuerungsprozessen. Diese Änderungen haben auch erhebliche Auswirkungen notarielle Praxis.
Die drei wichtigsten Aspekte werden im Folgenden zusammengefasst:
1) Die stillschweigen erteile Baugenehmigung
Nach Einreichung eines entsprechenden Antrages und, wenn die Bauverwaltung oder der Verantwortliche des Amtes nicht widersprochen hat, gilt der Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung als durch das Schweigen als erteilt. Ausnahme: Die Fälle, in denen hydrogeologische, ökologische, landschaftliche oder kulturelle Zwänge bestehen, für die die Bestimmungen der Artikel 14 ff. des Gesetzes Nr. 241 vom 7. August 1990 gelten. Unbeschadet der Wirkung, die durch das Stillschweigen eintritt, stellt die zentrale Anlaufstelle für das Bauwesen innerhalb von fünfzehn Tagen nach dem Antrag des Interessenten auch auf elektronischem Wege eine Bescheinigung über den Ablauf der Fristen des Verfahrens aus, wenn keine Anträge auf ergänzende Unterlagen oder nicht abgeschlossene Voruntersuchungen und Ablehnungsmaßnahmen vorliegen; andernfalls informiert sie den Interessenten innerhalb derselben Frist darüber, dass solche Handlungen stattgefunden haben.
Diese Neuerung ist eine sehr wichtige und nützliche Bestimmung für notarielle Praxis, da bei den meisten Immobilienurkunden unter Androhung der Nichtigkeit die Verpflichtung besteht, in der Urkunde die Einzelheiten der Baugenehmigung anzugeben (Art. 46, TU D.P.R. n. 380/2001). Bei einer im Wege der stillschweigenden Zustimmung erteilten Baugenehmigung gibt es keinen "formellen" Titel, dessen Identifikationsangaben (Ausstellungsdatum, Protokollnummer usw.) in der Urkunde genannt werden muss. Nach der Änderung durch das Gesetzesdekret 76/2020 muss der Notar den Verkäufer um die Ausstellung der kommunalen Bescheinigung über den Ablauf der Fristen des Verfahrens für die stillen Zustimmung anfragen, die auf Antrag von dem Bauamt auszustellen ist.
2) Konformitätsbescheinigung
Bewohnbarkeitsnachweis, sog. dichiarazione di abitabilità.
Die meisten der bestehenden Gebäude, die über einen langen Zeitraum hinweg erbaut wurden, haben keine Bewohnbarkeitsbescheinigung (da sie nie ausgestellt wurde oder nicht auffindbar ist). Heutzutage ist es äußerst kompliziert, ein Bewohnbarkeitszertifikat für diese Gebäude zu erhalten, da sie den Anforderungen an Sicherheit, Hygiene und Gesundheit, der Beseitigung architektonischer Barrieren und der Energieeffizienz entsprechen müssen. Die Kosten zur Erlangung dieser Anforderungen können in manchen Fällen besonders hoch sein. Sogenannte "de facto bewohnbare Gebäude" können nun einfacher als solche baurechtlich ausgewiesen werden, vorausgesetzt, sie wurden rechtmäßig errichtet, sind gebrauchstauglich und erfüllen die Anforderungen von Sicherheit, Hygiene, Gesundheit, Energieeinsparung.
3) Zertifizierung des "rechtmäßigen Zustands"
Jeder qualifizierte Techniker (d.h. jeder Techniker, der qualifiziert ist, Baupläne zu erstellen und einzureichen, und der bei einem Berufsverband registriert ist: Geometer, Ingenieur, Architekt) ist befugt, den rechtmäßigen Zustand eines Gebäudes zu bescheinigen. Dabei müssen die in Artikel 34-bis, Absatz 1 und 2, TU DPR 380/2001 genannten Bautoleranzen aufgenommen werden, die bei früheren Bauvorhaben durchgeführt wurden und die nach dem Gesetz keine Bauverstöße darstellen, aber den rechtmäßigen Zustand des Gebäudes nicht ausschließen.
Das Zertifikat kann ausgestellt werden anlässlich der Einreichung einer neuen Bauakte und damit in den Formularen für neue Anträge, Mitteilungen und Bauberichte oder zum Zwecke der Verkehrsfähigkeit des Gebäudes durch eine den Urkunden beizufügende besondere eidesstattliche Versicherung über die Übertragung oder Begründung oder Auflösung von dinglichen Rechten. Diese letzte Anforderung ist für die Tätigkeit des Notars von besonderem Interesse.
Es scheint auch vernünftig zu sein, davon auszugehen, dass der Käufer ein echtes Recht hat, vom Verkäufer die Aushändigung der eidesstattlichen Erklärung über den "rechtmäßigen Zustand" des Gebäudes gemäß Art. 34-bis, Abs. 3, TU DPR 380/2001 zu verlangen, da dieses Dokument als eines der Dokumente angesehen werden kann, die der Verkäufer gemäß Art. 1477, Abs. 2, ZGB dem Käufer aushändigen muss (diese eidesstattliche Erklärung ist z.B. eine Bedingung dafür, dass er in Zukunft mit den verhandelten Bauarbeiten an dem Gebäude fortfahren kann).
In jedem Fall ist die Beifügung der oben genannten eidesstattlichen Erklärung zur Übertragungs- oder Teilungsurkunde eine Option für die Parteien, und der Notar ist verpflichtet, sie beizufügen, wenn dies von einer der Parteien gewünscht wird: z.B. vom Verkäufer, der in der Urkunde mittels der von einem qualifizierten Techniker ausgestellten eidesstattlichen Erklärung die städtebauliche und bauliche Konformität der von ihm verkauften Immobilie dokumentieren möchte, oder vom Käufer, der sich die städtebauliche und bauliche Konformität der von ihm erworbenen Immobilie garantieren lassen möchte. Im Gegenteil, der Notar ist nicht verpflichtet, ein Dokument beizufügen, wenn nicht eine der Vertragsparteien dies ausdrücklich verlangt. Selbstverständlich muss der Antrag auf Pfändung durch die Übergabe der zu pfändenden eidesstattlichen Erklärung an den Notar unterstützt werden, da es nicht die Aufgabe des Notars ist, einen qualifizierten Techniker mit der Erstellung einer solchen Erklärung zu beauftragen oder zu bitten.
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